Hypertext[1] und EDV
Wir sind es gewohnt beispielsweise einen Roman von der ersten bis zur letzten Seite zu lesen. Alles andere hätte auch wenig Sinn und höchstens experimentellen Charakter. Um sich den Inhalt eines Buches anzueignen wird es ein Leser Seite für Seite lesen – er folgt der linearen Anordnung der Information. So gesehen ist die Linearität eines Textes konstituierendes Merkmal fast aller gedruckten Werke.
Diese Darstellung ist aber idealisiert und trifft voll umfänglich wohl nur auf Romane zu. Schon bei wissenschaftlichen Texten stimmt sie nicht mehr. Zum einen weil es nicht immer dem Informationsbedürfnis eines Lesers entspricht ein Buch oder Text von Anfang bis Ende zu lesen und zum anderen, da es oft sinnvoll erscheint Information nicht ausschließlich linear zu.
Die Wiedergabe einer Information als gedruckter Text scheint Linearität zu erzwingen. Doch um diese linearen Texte nichtlinear aufzubrechen, gibt es für stark strukturierte Bücher verschiedene Möglichkeiten:
· Paradebeispiel sind Fußnoten. Eine Fußnote unterbricht den linearen Lesefluss und bietet dem Rezipienten die Möglichkeit, zu einem Umstand im Text, näheres zu erfahren – beispielsweise vertiefende Informationen oder eine Quellenabgabe.
· Polyhierarchische Strukturen wie Querverweise brechen auch die Linearität auf, indem sie auf eine andere Stelle (zum Beispiel ein anderes Kapitel) des Buches verweisen.
· Metahierarchische Strukturen wie Inhaltsverzeichnisse dienen oft dazu, sich die „Rosinen“ aus einem Buch herauszupicken – mit Hilfe eines Inhaltsverzeichnisses wird ein Buch oft nur partiell gelesen. Das ist vor allem in Textsammlungen mit Hilfe eines Herausgebers der Fall.
· Analog dazu sind ebenfalls metahierarchische Stichwort- beziehungsweise Registeranhänge auch für die nichtlineare Lektüre prädestiniert.
· Im Erläuterungstext eines Lexikons werden oftmals Wörter verwendet, die selber einen eigenen Eintrag in diesem Lexikon haben. Wird eine solche Begrifflichkeit verwendet, ist sie in der Regel mit Hilfe eines Pfeils gekennzeichnet. Solche Pfeile verweisen auf den Lexikoneintrag zu eben diesem Wort.
Die Nichtlinearität kommt dem Rezipienten entgegen, da auch das menschliche Gehirn Information nicht linear sondern komplex verknüpft abspeichert. Abgesehen davon ist die Menge an weltweit verfügbarer Information derart immens, dass ein menschliches Gehirn jene sowieso nicht vollständig auswendig lernen kann und deshalb auf Bibliotheken und Datenbanken angewiesen ist. Gerade als Erinnerungsstütze sind Bücher aber leider nur bedingt tauglich, erst recht, wenn ihnen ein Register oder eine differenziertes Inhaltsverzeichnis fehlt. Die Suche nach einem Stichwort oder nach einer Phrase in einem Buch kann ergebnislos bleiben, weil weder das Inhaltsverzeichnis, noch das Register darauf verweisen.
Wie soeben gezeigt wurde, lassen sich lineare Texte zwar in ihrer Struktur aufbrechen, das aber immer nur partiell und nicht immer den Bedürfnissen sowohl des Autors, als auch des Lesers entsprechend. Letztendlich dominiert doch der lineare Textfluss. Hypertext ist hier weitaus flexibler und zusammen mit moderner EDV-Technik ergeben sich viel weitreichendere Möglichkeiten.
Hypertext hebt die oben beschriebene Linearisierung eines Textes völlig auf.
Der (Hyper-)Text besteht idealerweise aus konsistenten und nicht völlig dekontextualisierten Elementen, zwischen denen Verbindungen bestehen. Diese Verbindungen nennen sich „Links“[2]. Die Seitenbeschreibungssprache HTML [HyperText Markup Language] hat sich als ideales Vehikel für Hypertext erwiesen. Ein Hypertext-Dokument, das im Web-Browser dargestellt [3] wird enthält einen oder mehrere semantisch begründbare Links zu anderen Hypertext-Dokumenten, die so mit dem aktuellen verknüpft sind. Diese Links sind in der Regel durch Unterstreichen kenntlich gemacht und werden durch anklicken „aktiviert“. Ein Klick auf einen Link kann entweder auf eine andere Stelle des aktuellen Dokuments verweisen, zu welcher der Browser durch den Klick dann das Dokument scrollt, oder der Link verweist auf ein anderes Hypertext-Dokument, das durch den Klick auf den Link anstelle des aktuellen dann in das Fenster des Web-Browsers geladen und dargestellt wird. Folgerichtig sind beispielsweise Fußnoten in einem Hypertext-Dokument auch Links, die entweder auf das Ende des Dokuments (wo die Fußnoten gesammelt stehen) oder gleich auf ein anderes Dokument – zum Beispiel die Quelle im Internet – verweisen[4].
Hypertext wird auch gerne dazu verwendet, Inhalte an das vermittelnde Medium anzupassen: Die Fläche eines Bildschirmes – in der Regel 17 bis 19 Zoll diagonal – bildet einen beschränkten Rahmen zur Darstellung von Text. Zwar lässt sich diese Beschränkung mit Hilfe eines Rollbalkens außer kraft setzten, aber bei längeren Texten findet sich zunehmend das Prinzip des „Umblätterns“ am Bildschirm: Längere Texte, werden in Bildschirmseiten füllende Ausschnitte unterteilt und am Ende jeder dieser Einheiten verweist ein Link auf die nächste Bildschirmseite – den nächsten Hypertext-Ausschnitt.[5]
Die Lexikon-CD-Rom Microsoft Encarta 98 Enzyklopädie setzt dieses Prinzip konsequent um: Taucht in einem Lexikoneintrag ein Wort auf, das ebenfalls auf der CD-Rom erklärt ist, ist es durch eine andere Farbe vom übrigen Text abgehoben und damit als Link erkennbar. Klickt der Leser auf den Link kann er sich den Lexikoneintrag zu diesem Wort durchlesen und mit Hilfe weiterer Links zielgerichtet Informationen sammeln oder sich in seiner Recherche von den Links navigieren lassen. Dank der Digitalisierung der Information auf einem Datenträger ist zusätzlich auch recht treffsicheres Suchen möglich. Suchbegriffe lassen sich in Sekunden im gesamten Text eines Datenträgers – sofern dort vorhanden – finden.
Diese Möglichkeit interaktiv und nach bestimmten Kriterien riesige Datenbestände blitzschnell zu durchsuchen ist die außerordentlichste Neuerung im Informationsmanagement neben dem Hypertext. Der Erfolg der Informationsbeschaffung, also das Navigieren in den Links eines Hypertextes[6] und die Nutzung der Suchfunktionen, hängt von der Medienkompetenz des Anwenders ab.
Das Link-Prinzip kommt auch bei der Gestaltung von Web-Seiten zum tragen. Mit Hilfe von Links lässt sich der hierarchische Aufbau mehrerer Seiten auf unterschiedlichen Differenzierungsebenen konstruieren. Auswahlmenüs auf der Startseite bieten direkte Links zu Themen und geben der angebotenen Information eine interaktive Mehrebenenstruktur, durch welche der Besucher der Seite nach eigenem Gutdünken navigieren kann. Er kann so direkt auswählen was ihn interessiert und was nicht. Alternativ bieten sehr viele Seiten auch entsprechend ausgefeilte Suchfunktionen an. Verweist auf den ersten Blick kein Link auf die gewünscht Information, kann ein Schlagwort mit Hilfe der Suchfunktion gefunden werden.
Florian Stein
[1] „Hyper“ ist eine griechische Vorsilbe und bedeutet „viel zu viel“, ist Hypertext also viel zu viel Text? Insofern, als das WWW auf Hypertext basiert und der bisher erfolgreichste Versuch ist alles Wissen der Welt zu vernetzen – muss die Frage mit „ja“ beantwortet werden.
[2] Links werden, in Anlehnung an Hypertext, oft auch als „Hyperlinks“ bezeichnet
[3] Der Browser interpretiert den HTML-Code, der neben dem (inhaltlichen) Text auch Steuerungsfunktionen enthält. Links sind solche Steuerungsfunktionen die zum Beispiel das Öffnen einer anderen Seite veranlassen, auf die der Link verweist.
[4] Manche WWW-Suchmaschinen wie Google sortieren ihre Datenbestände zusätzlich zu anderen Kriterien hierarchisch danach, wie viele andere Seiten im Web auf die gesuchte Seite mit Links verweisen. Je mehr Verweise auf sich eine Seite vorweisen kann, desto höher rutscht sie bei den Suchergebnissen. Die Idee dahinter ist, dass stark verlinkte Seiten auch eine höhere Relevanz haben als schwach verlinkte.
[5] Vgl dazu: „Damit verlieren die Verfahren der Bildung linearer sprachlicher Kohäsion und Kohärenz an Bedeutung. Es entsteht eine andere Textstruktur, die eher aus einer Aggregation einzelner Cluster als aus einer sprachlich linear integrierten Sequenz besteht. Dieser sprachliche Strukturabbau wird durch technische Mittel ausgeglichen.“ (Rüdiger Weingarten 1997: 20)
[6] Die von Anwender bestimmte Informationsselektion mittels Hypertextlinks sowie Suchbegriffen und deren logischer Verknüpfung, entspricht wohl nur selten der Strukturvorstellung des Autors, der die Information bereitgestellt hat.